Vor dem Nichts
Hartz 4! Für viele bedeutet dieses Wort nichts Anderes als: «Endstation». Deutschland bietet Theo Fürst* damit gerade einmal 400 Euro monatlich, als Existenzsicherung, wenn wir dieses Wort gelten lassen wollen. Doch das österreichische Unterhaltsrecht zeigt Theo Fürst auf eindrückliche Weise, was es auch in seinem Fall aus einem Vater herauszuholen weiß:
700 Euro monatlich soll Theo zahlen, bei 400 Euro monatlichem Einkommen.
Wie ist so eine Höchstleistung unseres Unterhaltsrechts möglich? «Große» Errungenschaften gelingen nur durch außergewöhnliche Teams. In diesem Fall haben sich ein Richter, eine Gutachterin und eine Anwaltskanzlei, welche ausgerechnet Theo vertreten sollte, gegenseitig übertroffen.
Theo war Unternehmer. Durch Zahlungsausfall eines Großkunden ist er in den Bankrott geschlittert. Nun, in seinen Existenznöten, macht sich auch die Republik Österreich tiefe Sorgen: Kann Theo für seinen Sohn Michael* weiter zahlen? Soll er tatsächlich weniger zahlen dürfen, weil er jetzt auf Hartz 4 sitzt? Oder soll die Republik einspringen, was Gott und Unterhaltsrecht tunlichst verhüten mögen?
Michaels Mutter, Inga*, sieht das keineswegs ein. Also lässt sie die Behörden für sich arbeiten, sie sollen klären, ob Theo «angespannt» werden kann. Das bedeutet, dass sein Unterhalt von einem Fantasiegehalt berechnet werden darf, vom Gehalt eines Jobs, den Theo gar nicht hat. Soll sich doch Theo diesen Job suchen, den sich andere für ihn vorstellen!
Ausreichend Fantasie besitzt die Gutachterin Hermine Edlinger*, welche eine Expertise darüber schreibt, ob der Ingenieur Theo denn schnell einen neuen, gut verdienenden Job finden könnte: «Ja, er kann, natürlich!» will sie wissen.
Wie steht es wohl um ihre Branchenkenntnis über den Arbeitsmarkt bei Ingenieuren? Wir würden uns freuen, wenn uns diese Gutachterin erklärte, wie ein 49-jähriger, der jahrelang selbständig war und daher von vielen Unternehmen als «zu alt» und «zu schwer formbar» eingestuft würde, auf die Schnelle einen Job finden soll. Vielleicht in ihrem eigenen Anlagenbau-Großbetrieb, den Hermine Edlinger sicher selbst nebenbei als technische Leiterin führt, wenn diese Expertin mit so einer Sicherheit die Jobaussichten dieses Mannes feststellen kann.
In Österreich darf ein Richter Gutachter nach Belieben wählen. Der Gutachter wiederum darf frei, ungeprüft und nach Belieben seine Expertise schreiben, er verantwortet ja das Urteil nicht, mit seiner «bloßen Fachmeinung». Der Richter wiederum fällt sein Urteil und reagiert achselzuckend auf Kritik, denn er stützt sich ja bloß auf seinen selbstgewählten «Experten». Seit jeher wurde Unrecht darauf aufgebaut, dass jeder Verantwortung abschieben kann. So auch jetzt in diesem Familienrecht.
Auf diese Weise wird Theo einerseits zu Unterhalt verurteilt, den er sich nicht leisten kann.
Doch damit nicht genug. Inga will rückwirkenden Unterhalt, denn Theo habe in der Vergangenheit ja auch zu wenig bezahlt.
Nun begeht Theo einen folgenschweren Fehler: Er nimmt eine Anwaltskanzlei, die er sich aus dem Bekanntenkreis empfehlen lassen hat. Doch «gut» ist relativ, wie wir zu warnen pflegen.
Oft steht eine Anwältin oder ein Anwalt im Vordergrund und pflegt sein Image im Land. Oft führt dieser Anwalt das Erstgespräch, so auch mit Theo. Alles scheint so leicht dabei zu werden, «kein Problem», eine «sichere Sache» zu sein, «das haben wir gleich, Herr Fürst»…
Doch wie so oft meldet sich diese Kanzlei auch bei Theos erster Verhandlung, im letzten Moment, und erklärt, wir schildern sinngemäß: «Leider, ach, aufgrund unerwarteter Terminkollisionen, müsse eine Kollegin aus dieser Kanzlei für die Verhandlung einspringen. Aber diese junge Konzipientin, wir versichern Ihnen, die ist gut, Sie werden hochzufrieden sein, Herr Fürst.»
Diese Taktik hat Methode unter manchen Anwälten, den gewissen eben. Wir erlauben uns die Vermutung: Bereits im Erstgespräch hat so mancher Anwalt gar nicht vor, den Klienten selbst zu vertreten. Er weiß schon in diesem Moment: Für diesen kleinen Fisch schickt er seine Angestellten oder Konzipienten hin, bei gleichem Honorar selbstredend. Es ist bereits im Vorhinein beabsichtigt, und dazu gehört, dass der Klient erst kurz vor der Verhandlung vor Tatsachen gestellt wird. Dann kann er nicht mehr reagieren, kann den Anwalt nicht mehr wechseln.
Durch die schlechte Vertretung und Beratung gerät Theo Fürst in einen Vergleich, den er spätestens beim Gespräch mit dem Männerservice bitter bereut: Über 10.000 Euro Nachzahlung hat er unterschrieben, im Glauben, er komme nicht darum herum, wie ihm seine schlechte Rechtsvertretung beteuert hat. Erst im Nachhinein stellt er fest: Einen Vergleich kann er nicht nachträglich bekämpfen.
Nun steht Theo vor dem Nichts: Zusätzlich zu den 300 Euro Unterhalt soll er monatlich 400 Euro für diese Nachzahlung abstottern, mit seinem Hartz-4-Einkommen von 400 Euro.
Den Abgrund, vor dem Theo nun steht, hat Richter Stefan Reiter* zu allem Überdruss noch tiefer geschaufelt. Er riet dem verzweifelten Vater, als der seine Ausweglosigkeit offen legte: Er solle sich doch seine Pensionsvorsorge, als Selbstständiger bei einer Privatversicherung, auszahlen lassen, um die Kosten zu begleichen. Einmal noch folgt Theo einem fatalen Ratschlag.
Doch all das Geld, das einmal Theos Altersvorsorge sein hätte sollen, war im Nu aufgebraucht: Ausgerechnet für die Menschen, die ihn so im Stich gelassen haben, für die Anwaltskanzlei, die Gutachterin und die Gerichtskosten.
Nun steht Theo nicht nur ohne Einkommen da, sondern sogar ohne jegliche Rente.
Männerservice-Report #188, veröffentlicht am 4. Februar 2020
Betroffene
Vater: Theo Fürst*
Kind: Michael Bacher*, 4 Jahre
In der Verantwortung
Inga*, Mutter des Kindes
Dornbirner Anwaltskanzlei
Stefan Reiter*, Bezirksrichter in Vorarlberg
Gutachterin Hermine Edlinger*
Ort und Zeitraum:
Vorarlberg sowie Bayern, Kreis Lindau, Juli 2019