Vertrauen?
Reinhard* kennt die Arbeit des Männerservice. Vor einem Jahr ist die Scheidung von Judith* bereits im Raum gestanden, schon damals hatte er sich bei uns informiert.
Vom Männerservice erhält er keine fertigen Lösungen, sondern Informationen – Wissen, Möglichkeiten und Erfahrungen, von uns hört er, was nicht auf dem Papier steht, sondern was im realen Familienrecht wirklich geschieht. Doch mit diesem Wissen ist er gefordert, selbst umzugehen, so etwa mit Judith Gespräche zu führen, welche letztlich Verhandlungen sind, um seine Zukunft, um seine Existenz, um seine zukünftigen familiären Beziehungen zu den Kindern.
Die Vielzahl dieser Informationen anzuwenden, das überfordert wohl jeden, der sie zum ersten Mal und hoffentlich auch zum letzten Mal benötigt.
Die meisten Betroffenen wollen verständlicherweise jemanden, der eine faire Regelung einfach für sie beschließen und umsetzen kann. Doch wer soll das sein? – doch nur ein Mensch, dem sie voll und ganz vertrauen können!
Abseits unserer vielfältigen, begründeten Kritik an deren Objektivität: Wer sein Schicksal dem Richter in die Hände legt, merkt zu recht bald, dass er zu spät und an der falschen Adresse ist. Unsere Justiz baut darauf auf, dass sich beide Parteien selbst vertreten können oder gut vertreten werden. Der Richter soll neutral beide Vertretungen anhören und das Urteil fällen. Das schließt aus, dass er einer Seite, die gerade, juristisch sauber, aber vielleicht moralisch unfair, von der anderen ausgetrickst wird, zur Hilfe eilt.
Doch an diesem Salzburger Gericht bietet eine Familienberatung Hilfe an. Dort sitzt Paul Hämmerle*, er wirkt freundlich, kompetent und hilfsbereit. Der bietet ihm an, eine Vereinbarung auszuarbeiten. Diese hätten Judith und er nur zu unterschreiben, und damit wäre geregelt, was augenblicklich zu regeln ist.
Geschätzte Leserinnen und Leser, hier geht es nicht um den Inhalt der Vereinbarung. Wir schildern ein Dilemma:
Reinhard will Paul Hämmerle arbeiten lassen. Er hofft auf dessen Hilfe, zu einer fairen Lösung zu gelangen. Wenn er nun alles hinterfragt, was ihm dieser Berater vorlegt: Würden Sie an der Stelle von Paul Hämmerle dem Herrn Ritter noch helfen wollen? Dann soll er sich doch selbst helfen!
Doch was, wenn die Vereinbarung Nachteile für ihn enthält, die er noch nicht erkennen kann?
Nun erinnert sich Reinhard wieder an den Männerservice: Wir verlangen nicht, dass er uns blind vertraut, von uns bekommt er einfach Informationen, welche oftmals wichtige Warnungen darstellen.
Im Gespräch stellen wir fest: Reinhard kann uns gar nicht sagen, was in Paul Hämmerles Vereinbarung überhaupt stehen soll. Er hat über seine Wünsche mit dem Berater gesprochen, doch er weiß nicht, welche genauen Vereinbarungspunkte dieser daraus formulieren wird.
Wenn er Paul Hämmerle vertrauen will, kann Reinhard ihn nicht ständig hinterfragen. Und doch weiß er von uns im Vorhinein, wie gefährlich blindes Vertrauen sein kann in Österreich und im Familienrecht.
Für Reinhard wird die Entscheidung schwer: Wie sehr will er einem Berater Glauben schenken, den er nicht persönlich kennt, der jedoch geschickt zum Vorteil einer Partei hin lenken oder anderseits ausgewogen beraten kann – und: Was ist denn nach der Meinung Paul Hämmerles überhaupt ausgewogen? Die Freiheit von finanziellen Belastungen für beide Seiten? Oder eine lebenslange Unterhaltsverpflichtung für Reinhard, weil er Judith versorgt sehen will, koste es Reinhard, was es wolle?
Wir warnen Reinhard: Die meisten von der öffentlichen Hand finanzierten Berater lenken Väter darauf hin, eigene Belastungen oder Nachteile zugunsten der Frau auf sich zu nehmen, deren Tragweite sich oft erst später herausstellt. Trotzdem soll er Paul Hämmerle eine Chance geben und ihm vertrauensvoll gegenübertreten. Wir werden im Stillen prüfen, ob dieses Vertrauen gerechtfertigt ist.
Männerservice-Report #245, veröffentlicht am 9. März 2021
Beteiligte
Reinhard Ritter*
Judith Ritter*
Kinder
Paul Hämmerle*, Familienberatung am Bezirksgericht
Ort und Zeitraum:
Salzburg, Januar 2021