Bange Monate
Als die Polizistin vor Noriaki Takamuras* Wohnungstür steht, ahnt der junge Mann noch nichts Böses. Doch nach deren ersten Worten fällt er in seinen Sessel, das Gesicht der Beamtin verschwimmt vor seinen Augen, während er wie benommen weiter zuhört.
Eine Frau, Silke Stiehler*, beschuldigt ihn der Vergewaltigung!
Er hatte sie schon längst vergessen, Silke und die einmalige Affäre mit dieser Frau vor vielen Jahren… Doch, ohne dass er es ahnte, hatte sie wohl zunehmend im Bekanntenkreis diese Nacht als Vergewaltigung dargestellt.
In einem Rechtsstaat könnten wir sicher sein, dass Noriaki nichts zu befürchten hat. Das Sexualstrafrecht ist jedoch dermaßen vorverurteilend und emotionalisiert, dass wertfreie Ermittlung und Prozessführung schwer beschädigt sind.
So wird Silke schon zu Beginn der Ermittlungen als Opfer bezeichnet. Damit ist das Urteil schon halb gesprochen. Noriaki kämpft noch vor dem Beginn der Ermittlungen mit dem Stigma des Täters, denn so fühlt er sich bei sämtlichen Behörden letztlich behandelt.
Für eine Verurteilung benötigt das Gericht keine Sachbeweise. Besonders in Sexualstrafprozessen bewertet das Gericht nur die Glaubwürdigkeit, wenn wie zumeist Aussage gegen Aussage stehen.
Die Aussage der Frau jedoch darf per Video erfolgen, an eine wirklich kritische Befragung durch den Verteidiger, um Widersprüche an den Tag zu bringen, ist dabei nicht zu denken – wir wissen ja, die Frau gilt bereits vorher als Opfer, und dieses darf nur äußerst behutsam befragt werden. Umgekehrt darf der Mann, der vor einer Haftstrafe bangt, mit Vorwürfen und Fangfragen von mehreren Seiten zugehagelt und unter Druck gesetzt werden, von einem Staatsanwalt und zumeist einer zusätzlichen Opferanwältin.
Vor all dem zittert Noriaki augenblicklich vor der kommenden Beschuldigtenvernehmung. Er fürchtet, in eine Falle zu laufen, die ihm seine Zukunft rauben könnte.
Einen Anwalt kann er sich nicht leisten, der ihm jetzt zur Seite stünde. Für Befragungen bei Ermittlungen steht ihm kein Pflichtverteidiger zu, erst später, im Prozess. Doch was, wenn er vorher in der Befragung in eine Falle tappt?
Gutgläubig wendet sich Noriaki an eine Opferschutzeinrichtung. Er bittet um Hilfe, denn er sieht sich selbst als Opfer einer Falschbeschuldigung. Doch erst als er seine Ängste und Nöte ausgeschüttet hat, erbleicht er, denn ihm wird klar, was das betroffene Schweigen der Gegenseite zu bedeuten hat: Die Opferschutzstelle hilft ihm nicht. Sie sieht ihn als Täter und weist ihm die Tür.
Wir denken: Vergewaltigung ist ein Verbrechen, das in einem rechtsstaatlichen Prozess zu beweisen und zu bestrafen ist. Doch das jetzige Recht und die Justiz üben Vorverurteilungen und schaffen oftmals keine fairen Prozesse.
Noriaki hat trotzdem eine Chance: Er sammelt akribisch Entlastungsbeweise und –Indizien, geht sehr intelligent und trotz allem ruhig und konzentriert vor und versucht so, die nächsten bangen Monate zu überstehen.
Weder wir noch alle unbeteiligten, im Verfahren stehenden Personen, die vielfach bereits eine Vorverurteilung in ihrem Köpfen haben, wissen, was an diesem Abend vor fünf Jahren geschehen ist. Eines Umstands sind wir jedoch sicher: Ein rechtsstaatliches Verfahren sieht anders aus.
Männerservice-Report #257, veröffentlicht am 1. Juni 2021
Betroffene
Noriaki Takamura*
In der Verantwortung
österreichisches Sexualstrafrecht
Ort und Zeitraum:
Österreich, März 2021