50 Prozent Abzug

Die kleine Annabella* habe ein ganz besonderes Naheverhältnis zu ihm, ihren Vater, beteuert Gustav*. Seit der Geburt hatte er einen hohen Betreuungsanteil geleistet, daher reißt die Trennung zwischen Vater und Kind jetzt bei beiden tiefe Wunden. Jeder Abschied nach den verhältnismäßig spärlichen Zeiten des Kindes beim Vater sei geradezu dramatisch, das Kind wolle unter Tränen beim Vater bleiben, erzählt dieser. Liebe Leserinnen und Leser, wir behaupten nicht, dass diese Sichtweise, welche der Vater schildert, die objektive Wahrheit ist. Doch es geht darum, dass im Sinne des Kindes objektiv bewertet wird – genau dafür wäre ein Gericht da.

Aufgrund Gustavs Beschreibungen ist es verständlich, dass er gleichteilige Betreuung beider Eltern, die Doppelresidenz, will. Doch Regina*, Annabellas Mutter, lehnt kategorisch ab. Manche Mütter lassen sich durch den Wunsch eines Kindes, öfter beim Vater sein zu wollen, nicht zum Einlenken bewegen, sondern versteifen sich erst recht auf das Gegenteil. Solche Mütter sehen eine zu starke Beziehung zwischen Vater und Kind oftmals als «Gefahr». In diesen traurigen Fällen will das blockierende Elternteil das einzig wichtige Elternteil für das Kind sein.

Nachdem sich Regina weigert, zuzulassen, was nach Gustavs Ansicht das Beste für das Kind ist, versucht dieser Vater vor Gericht sein Glück. Er beantragt Doppelresidenz. Doch Richterin Sybille Kerner* lässt den Antrag erst gar nicht von der Familiengerichtshilfe oder einem Gutachter prüfen. Wenn die Mutter nicht wolle, so erklärt sie, könne und wolle sie die Doppelresidenz nicht beschließen.

Wenn uns auch das Bemühen dieser Richterin fehlt, wenigstens die Verhältnisse genau anzusehen und bei Bedarf Möglichkeiten zu suchen, mit sanftem Druck Regina zu motivieren, so sei ihr zugestanden: Die gesetzliche Möglichkeit der Doppelresidenz besteht ohnehin nicht wirklich. Die Richterin wollte sich also nicht über den gesetzlichen Tellerrand hinaus engagieren.

Für Gustav bleibt nun nur mehr die Überlegung: Wenn sich Regina so sträubt gegen gleichteilige Betreuung, soll er gleich die Obsorge beantragen? Würde er sie zugesprochen erhalten, dann würde er Regina anbieten, was sie ihm verweigert, und er ist überzeugt: Seine Tochter würde keine Tränen mehr vergießen bei jeder Übergabe, ob von der Mutter zum Vater oder umgekehrt.

Auf die Frage des Betroffenen, was er nun unternehmen solle, ob er den Antrag stellen solle oder nicht, empfehlen wir vorher eine bewährte Methode, seine Chancen treffsicher zu prognostizieren:

Zuerst lassen wir den Betroffenen selbst seine Chance einschätzen. Er kennt die Sachlage nämlich selbst am besten, er weiß, wie das Kind zu ihm und zur Mutter steht, wie die Betreuungszeiten beider Eltern, aber auch die Intensität gewesen ist in der Vergangenheit, und wie vertraut das Kind zu beiden Eltern ist. Seine eigene Einschätzung ist also der erste Schritt bei der Ermittlung seiner Chancen. Meint er, jeder, welcher objektiv und kindgerecht die Verhältnisse untersucht, würde zu 100% empfehlen, dass Annabella zum Vater solle, sieht er also eine sichere Sache? Oder schätzt er etwa nur eine 50%-Chance ein?

Jedenfalls geht ein Betroffener von der Hoffnung aus, dass neutral untersucht und daraus der Richterin eine Lösung empfohlen würde. Nun ist die Korrektur dieser Einschätzung wichtig, um die familienrechtliche Realität:

Erfahrungsgemäß ziehen wir nun nämlich 50% von den Chancen ab, welche ein Vater in einem objektiven Verfahren hätte. Diese 50% sind also der Väterabzug. Der beruht auf Vorurteilen und Voreingenommenheit, etwa «ein Kind gehöre zur Mutter», jede Mutter könne ein Kind besser versorgen als jeder Vater, oder etwa dem Stereotyp, Mütter seien gar einfühlsamer als Väter.

So wird also aus einer 100%-Chance ein fifty-fifty, und aus einer 50%-Chance werden 0%, also die Empfehlung, den Antrag erst gar nicht zu stellen, sondern sich voll auf das Kontaktrecht zu konzentrieren.

Wir hoffen, geholfen zu haben, dass Gustav anhand dieser ernüchternden Erfahrungswerte seine Schwerpunkte richtig setzt, und arbeiten weiter daran, bewusst werden zu lassen, wie real leider der Väterabzug an fairen Chancen in diesem Familienrecht ist.


Männerservice-Report #305, veröffentlicht am 3. Mai 2022

Betroffene
Vater: Gustav Mennel*
Kind: Annabella*, 4 Jahre

In der Verantwortung
Regina*, Annabellas Mutter
Sybille Kerner*, Richterin
österreichisches Familienrecht mit großteils voreingenommen Mitarbeitern in Gerichten und Familiengerichtshilfen sowie Gutachtern

Ort und Zeitraum:
Österreich, Januar 2022

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