Brief einer Großmutter: Mit den Augen des Kindes

Can You see it through my eyes? Please try!

Hallo Herr Richter,
ich bin Konstantin, am 11.3.2015 geboren und meine Silvia Oma findet, dass Richter
weise Männer und Frauen sind und dafür sorgen, dass Niemandem Unrecht geschieht.
Und deshalb habe ich meine Silvia Oma gebeten Dir meine Fragen zu schreiben, denn
ich kann ja noch nicht schreiben und sprechen habe ich auch erst gelernt und kann
das deshalb noch nicht so gut, wie ich gerne möchte.

Kannst Du mir bitte sagen, was mit meinem Papa los ist?
Er war bis vor – ich weiß nicht mehr – aber Oma sagt, bis Dezember 2016, da. Aber
jetzt ist er nicht mehr da. Ich meine, bei mir und meiner Mama.
Vorher war er immer da, schon als ich im Bauch von meiner Mama war, hat er mich
gestreichelt, mit mir geredet und mir Bussi gegeben. Er war auch bei meiner Geburt
dabei und hat sich gefreut, dass ich endlich da bin. Wir waren auch zu Dritt im
Krankenhaus, Papa, Mama und ich, bis wir dann endlich nach Hause sind.

Die Oma, die mir gesagt hat, dass Du ein weiser Mann bist, ist zu meiner Geburt extra
aus dem Burgenland angedüst und ist vor dem Kreissaal gesessen und hat auf mich
gewartet. Mein Papa hat auch ein bisschen mit ihr geschimpft und hat was von zu
schnell fahren, Radar und Strafzetteln gesagt. Meiner Oma war das egal, die hat
gemeint, bin ja gut angekommen und egal wie viele Strafzettel, das Erste mal Oma
werden ist nur ein mal im Leben. Ich glaube, ich bin sehr wichtig, findest Du nicht
auch?

Diese Oma war auch einige Zeit da und hat sich um Einkaufen, Essen, Wäsche und
Saubermachen gekümmert. Am Abend ist sie dann rüber zu meiner anderen Oma und
Opa. Sie hat dort geschlafen und am nächsten Vormittag war sie dann wieder bei uns.
Sie hat das für meine Mama und meinen Papa gemacht, damit sie sich nur um mich
kümmern können. Ich glaube, das hat sie auch für mich gemacht, weil ich so wichtig
bin.
Meine Mama hat damals viel geweint, aber das ist vorbei. Mein Papa hat sich die
ganze Zeit um uns gekümmert.

Alles haben meine Eltern für mich getan, mich gefüttert, zu Bett gebracht, mit mir
gekuschelt, gesprochen, gesungen, gespielt, einfach alles, manchmal gemeinsam,
manchmal die Mama und dann wieder der Papa. Meistens hat mir meine Mama die
Windeln gewechselt, das wollte der Papa nicht so gerne, hat es aber trotzdem
gemacht, wenn es notwendig war. Ja, so war das.

Ich habe beide sehr lieb. Meine Oma sagt, jedes Kind sucht sich seine Eltern aus die
es gerne haben möchte, wenn es noch auf der Himmelswiese ist. Ich glaube, meine
Oma hat recht, denn ich habe meine Mama und meinen Papa sehr sehr lieb. Sie sind
die besten Eltern auf der ganzen Welt für mich, deswegen habe ich sie mir ja auch
ausgesucht.
Aber jetzt ist mein Papa nicht mehr da, ich meine, nicht mehr so, wie früher, bei mir
und meiner Mama, so ich es gewohnt bin.

Jetzt ist es so, dass meine Mama mich wohin bringt, Frauennetzwerk heißt das, und
mein Papa ist dort. Ich freue mich, dass ich ihn sehe und dann spielen wir und
machen halt Sachen, die ich mit dem Papa gemacht habe. Dann kommt meine Mama
und wir fahren nach Hause, aber mein Papa kommt nicht mit. Am Anfang habe ich ihn
festgehalten, denn ich konnte noch nicht so gut sprechen, später habe ich gesagt
„Papa mitkommen“, jetzt kann ich aber schon „Papa mit nach Hause kommen“ sagen,
aber niemand hört das, niemand reagiert darauf.

Herr Richter, kannst Du mir bitte sagen warum das so ist? Habe ich was Schlimmes
getan? Hat mich mein Papa nicht mehr lieb? Oder verstehen meine Mama und mein
Papa nicht, was ich sage? Vielleicht aber hören sie es auch nicht? Soll ich das lauter
sagen? Was sagst Du dazu?

Am Anfang war das im Frauennetzwerk komisch, weil so viele fremde Menschen da
waren. Ich habe mich aber nicht gefürchtet, mein Papa war ja mit mir. Jetzt kenne ich
schon fast alle. Ich weiß auch schon, wenn mich die Mama hinbringt, dass mein Papa
dort ist und ich mit ihm spielen kann. Aber mein Papa kommt noch immer nicht nach
Hause. Warum nicht?

Ich möchte gerne meinen Papa fragen, warum er nicht nach Hause kommt. Ich
möchte gerne wieder von Ihm ins Bett gebracht werden und mit ihm kuscheln, bis ich
eingeschlafen bin, so wie früher. Weißt Du, im Frauennetzwerk gibt es kein Bett und
da geht das nicht. Ich möchte auch gerne wieder mit ihm Einkaufen und Kochen und
viele andere Dinge machen. Das geht im Frauennetzwerk auch nicht. Wir gehen auch
nicht hinaus an die frische Luft, auch wenn ganz schönes Wetter ist, dann auch nicht.
Und weil wir drinnen sind, kann ich auch nicht mehr mit dem Papa Sand spielen oder
ihn mit Wasser anspritzen, ich kann auch nicht mit ihm Schwimmen gehen. Das alles
würde ich gerne mit meinem Papa besprechen, ich könnte auch meine Mama fragen,
aber ich bin „ein kleiner Mann“ wie meine Oma zu mir sagt, und ich kann noch nicht
so gut sprechen und deshalb kann ich das alles noch nicht fragen.

Weil ich noch nicht so gut sprechen kann, habe ich einen Trick herausgefunden, damit
ich länger mit meinem Papa zusammen sein kann, denn ich bin ja nicht dumm. Jetzt
weiß ich schon, wann meine Mama kommt, um mich vom Frauennetzwerk wieder
abzuholen. Ich verrate Dir meinen Trick. Ich lasse mir ganz einfach meine Jacke und
Schuhe nicht anziehen. Ich verstecke meine Hände, siehst Du? Aber jetzt, wo es so
warm ist, habe ich keine Jacke mehr. Ich glaube, ich muss mir schnell was Anderes
einfallen lassen. Ich könnte beim Aufräumen noch mehr trödeln, ich könnte mir aber
auch die Augen zuhalten, dann sieht mich keiner mehr. Ich könnte mich auch auf den
Boden schmeißen und schreien. Was meinst Du, was ich tun soll?

Seit einiger Zeit sagt mir meine Mama, dass mein Papa bei der „Burgi Oma“ = Silvia
Oma ist. Und das verstehe ich nun überhaupt nicht. Wenn mein Papa bei der Silvia
Oma ist und ich meinen Papa sehen möchte und meine Oma auch schon so lange
nicht mehr gesehen habe, warum fahren wir dann nicht ins Burgenland, so wie früher?
Und warum ist mein Papa bei der Oma und nicht bei mir? Früher, wenn wir zur Oma
gefahren sind, ist er auch wieder mit uns nach Hause gefahren und auch nicht bei
Oma geblieben. Er ist doch mein Papa. Hat er mich vielleicht nicht mehr lieb?
Lieber Herr Richter, kannst Du mir bitte helfen? Oder ist das alles meine Schuld?
Lieber Herr Richter, meine Silvia Oma, das ist die Oma, die zu meiner Geburt nur
wegen mir vom Burgenland nach Öberösterreich gedüst ist. Das ist die Oma, die ich
schon lange nicht mehr gesehen habe, und das letzte mal für eine Stunde im Frauennetzwerk, da hat sie mit mir und meinem Papa meinen zweiten Geburtstag gefeiert.

Dafür ist sie sieben Stunden mit dem Auto gefahren, sie fährt normalerweise
also nicht so schnell, wie zu meiner Geburt. Ich glaube, dass ich für meine Oma noch
immer sehr wichtig bin. Auch wenn ich sie lange nicht sehe, weiß ich, dass sie da ist,
denn sie spricht mit mir, fast jeden Tag und sie singt mir auch manchmal das
Schlaflied vor, das mein Papa als kleines Kind immer gerne gehört hat. „Der Mond ist
aufgegangen, die goldnen Sternlein prangen, am Himmel hell und klar……“ kennst Du
das Lied?
Sie hat auch in mein Geburtsbuch für mich und meine Eltern eine Weisheit von Khalil
Gibran aus „der Prophet“ reingeschrieben, weil sie findet, dass es wichtig ist, dass wir
das nicht vergessen. Das steht schon auf der Geburtsanzeige von meinem Onkel Max.
„Eure Kinder sind nicht eure Kinder. Sie sind die Söhne und Töchter der Sehnsucht des
Lebens nach sich selber. Sie kommen durch euch, gehören euch doch nicht. Ihr dürft
ihnen eure Liebe geben, aber nicht eure Gedanken. Denn sie haben ihre eigenen
Gedanken. Ihr dürft ihren Körpern ein Haus geben, aber nicht ihren Seelen, denn ihre
Seelen wohnen im Haus von morgen, das ihr nicht besuchen könnt, nicht einmal in
euren Träumen. Ihr dürft euch bemühen, wie sie zu sein, aber versucht nicht, sie euch
ähnlich zu machen……“

Und manchmal, wenn die Silvia Oma nicht schlafen kann, steht sie nachts in
Gedanken an meinem Bett, streichelt meinen Kopf und fragt mich, ob sie was Gutes
für mich tun kann.

Lieber Herr Richter, jetzt weißt Du auch, warum ich die Silvia Oma gebeten habe, Dir
zu schreiben und sie hat es mir versprochen. Ich fühle, da ist was nicht in Ordnung,
aber ich verstehe das nicht. Mein Papa ist nicht bei mir und er fehlt mir, das mag ich
gar nicht. Ich habe mir doch meine Eltern ausgesucht, ich liebe und brauche sie beide!
Ich habe auch meinen Opa, der andere Opa ist schon im Himmel, und Omas lieb, auch
meine Onkel und Tanten und der Onkel Max fehlt mir auch schon.

Bitte, lieber Herr Richter, kannst Du das bitte, bitte für mich in Ordnung bringen und
kannst du bitte dafür sorgen, dass mein Papa wieder bei mir ist und dass kein Unrecht
geschieht?

Danke! Konstantin

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2d Kommentare

    • Das ist ein so berührender Brief, in dem soviel Schmerz mitschwingt. Man fragt sich wirklich, gibt es eigentlich eine gesetzliche Vertretung für Kinder? Wie sieht das aus, wenn eine Mutter oder ein Vater ihren Konflikt miteinander über das Kind austrägt? Ich finde Silvia sehr mutig und vor allem auch